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Wer wettbewerbsfähig bleiben will, muss digitalisieren. Darüber ist man sich branchenübergreifend längst einig. Über die Herangehensweise allerdings nicht. Doch genau diese entscheidet meist über Erfolg und Misserfolg bei der digitalen Transformation. Wen wundert es also, dass insbesondere mittelständische Unternehmen in Sachen Digitalisierung eher zurückhaltend sind? Ingo Scheidweiler, Vorstand der O´Donovan Consulting AG aus Bad Homburg berät und begleitet Unternehmen bei der digitalen Transformation und weiß, wo die Stolpersteine liegen. Im Interview, nachzulesen im IHK Wirtschaftsforum September 2018, gibt er spannende Tipps.

Die Digitalisierung geht in Deutschland langsam aber sicher voran. Wo stehen wir Ihrer Meinung nach?

Derzeit sind viele große Unternehmen mittendrin in einer digitalen Transformation. Viele Projekte werden unter diesem Stichwort losgetreten, Chief Digital Officer (CDO) eingestellt und Digital-Labore gegründet. Der Mittelstand und kleine Unternehmen stehen an ganz unterschiedlichen Stellen. Von Unternehmen, die ihr gesamtes Geschäftsmodell umkrempeln und digitalisieren, bis hin zu Firmen, die orientierungslos in Agonie verharren reicht hier die Skala. Es finden sich auch trotz der medialen Überpräsenz des Themas auch noch viele Vertreter der Gattung „Das geht schon vorbei und betrifft mich nicht“.

Der Mittelstand tut sich noch immer schwer mit der digitalen Transformation. Was läuft da falsch?

Zunächst mal muss ich vornewegstellen, dass viele Mittelständler bereits auf einem guten Weg sind. Die die sich schwer tun mit dem Thema erlebe ich häufig auf der Suche nach Orientierung. Auf der einen Seite wird ihnen Angst gemacht („Wer nicht digitalisiert ist bald nicht mehr im Markt“),  auf der anderen Seite fehlt häufig das Verständnis für die Chancen, Risiken und Technologien die mit der Digitalisierung einhergehen. Dies führt bei Mittelständlern die ihren Fokus eher auf Produkten und Kunden haben zu einem gewissen Maß an Überforderung – zumal eine Umsetzung einer Digitalstrategie zu komplexen Veränderungen in Firmenstrukturen, bei Personal, Prozessen und IT führt. Dazu kommt, dass viele auch den direkten Nutzen für sich nicht sehen und daher die notwendigen Investitionen scheuen.

Wie erleben Sie denn den Einstieg typischer Mittelständler in die Digitalisierung?

Eine "Digitale Agenda" macht ein Unternehmen noch längst keine Digitalisierung aus.

Digitalisierung beginnt mit einem Projekt – nicht mit einer „Digitalen Agenda“. Bildquelle: pixabay.com/geralt

Was wir häufig erleben ist ein Schnellstart mit folgendem Muster:

  • „wir brauchen einen Verantwortlichen“ à ein Projektleiter oder Chief Digital Officer muss her
  • „wir brauchen eine Strategie“ à eine „Digitale Agenda“ wird von Beratern geschrieben
  • „wir müssen schnell was ausprobieren, am besten disruptiv“ à wir gründen ein „Digitallabor“ oder kaufen ein Startup.

Genau dieses Vorgehen empfehlen wir nicht. Ich sage Ihnen auch warum. Über diesen Weg bauen Sie neben Ihrer normalen Organisation eine Parallelwelt auf. Der CDO ist nicht vernetzt in den Rest Ihres Unternehmens und hat erstmal wenig „Macht“. Externe Berater schreiben Ihnen eine Strategie, die vielleicht zu Ihrem Markt, aber selten zu Ihrem Unternehmen passt. Sie kommt nicht von innen. Dadurch wird es an Akzeptanz mangeln. Ein Labor oder ein Startup wird auch räumlich und organisatorisch neben Ihrer „normalen“ Organisation aufgebaut. Manchmal sogar bewusst, weil der „alten“ Organisation nicht zugetraut wird, das nötige Tempo gehen zu können. Bei all dem fehlt jedoch die Verankerung. Es fehlt das Zusammenwachsen in der Unternehmenskultur. Und Kultur ist stark und verspeist am Ende auch den CDO, das Labor und die Strategie „zum Frühstück“.

Wie sollte man denn als Mittelständler Ihrer Meinung nach in die Digitalisierung einsteigen?

Ich propagiere für den Einstieg einen anderen Ansatz. Entwickeln Sie ihren eigenen Weg, ihre eigene Strategie aus ihrer Mannschaft heraus. Und lassen sie sich dabei Impulse von außen geben. Suchen sie sich Projekte aus, die Ihnen eine Menge Nutzen versprechen, aber nicht zu komplex und langwierig sind.  Dabei kann ein Workshop helfen, in dem mit der Führungsmannschaft die Digitalisierungspotentiale in wesentlichen Unternehmensbereichen analysiert werden. Wir empfehlen dabei auch immer Lieferanten und vor allem Kunden einzubeziehen. Die Methode sich anhand von Kundenreisen (Customer Journey Analysen) die Brille des Kunden auf das eigene Unternehmen aufzusetzen, ist häufig ein gewinnbringender Startpunkt in solch einen Workshop und generiert häufig viele Ideen zur Digitalisierung.

Aus diesen gilt es dann, sehr schnell ein oder mehrere Ideen auszuwählen und ihre Umsetzung zu planen. Denn …

Digitalisierung beginnt mit einem Projekt.

Achten Sie auf die richtige Projektauswahl und auf die starke Verankerung in ihrer „alten“ Organisation. Vermeiden sie das Entstehen einer Parallelkultur und unterstützen sie das Projekt als Führungskraft dauerhaft mit ihrer Präsenz und Ihrer Kommunikation.

Haben Sie dies schon hinter sich gebracht und möchten Sie jetzt tiefer in das Thema einsteigen, empfehle ich die Nutzung des Digital Transformation Canvas der an der FHNW, Hochschule für Wirtschaft speziell für KMU entwickelt wurde.

„MeToo“ funktioniert in der Regel nicht als Einstieg in die Digitalisierung. Was bei einem Mittelständler funktioniert, kann beim andern schief gehen.  Machen Sie die Projekte und ihre Ausgestaltung passend zu Ihrer individuellen Unternehmens-DNA.

Erfolgreich digital - digital erfolgreich

Erfolgreich digital – digital erfolgreich. Bildquelle: pixabay.com/geralt

Sie erwähnten eben, man sollte sich zur ersten Orientierung Impulse von außen geben lassen. Wie kann das in der Praxis aussehen?

Hier kommen Sie mit drei ganz konkreten Tipps weiter:

  1. Bilden Sie Netzwerke über ihre Branchengrenzen hinweg – besuchen sie beispielweise Veranstaltungen von IHK Hessen innovativ, einen IT-Stammtisch des Plönzke Netzwerks oder des BVMW oder nehmen Sie an einem Barcamp von [ um ] denk [ bar ] teil.
  2. Lassen Sie sich eine „Learning Journey“ organisieren. Besuchen Sie Startups, Co-Working Spaces, das Social Impact Lab in Frankfurt oder Kundentage von Digitalisierungs-Unternehmen wie Software AG oder SAP AG.
  3. Nutzen Sie Unternehmensberater, um gezielt aus anderen Branchen Ideen und Erfahrungen einzubringen oder besuchen sie deren Digitallabors (Digitalschmiede von Vinci Energies oder Digitallabor von PwC Strategy& in Frankfurt)

Digitalisierung ist mit großem Aufwand verbunden. Lohnt sich das überhaupt? Was sind aus Ihrer Sicht die größten Chancen, die sich aus der Digitalisierung ergeben?

Ich stimme Ihnen zu. Die Digitalisierung kann, wenn es an die IT geht, mit beträchtlichen Investitionen verbunden sein. Ob sich das lohnt, kann jeder Unternehmer nur für sich entscheiden. Häufig überwiegen jedoch die Nutzenaspekte und sie lassen sich auch rechnen. Die Digitalisierung von ganzen Prozessketten im Unternehmen ist mit möglichen Kostensenkungen verbunden und macht sie noch schneller und damit wettbewerbsfähiger. Daneben kann die Digitalisierung auch Chancen entstehen lassen, ihre Kunden stärker an sich zu binden. Wir kennen alle das gute, alte Druckerbeispiel. Heute kauft kaum ein Unternehmen mehr einen Drucker und lässt seine IT den Service drumherum machen. Viel zu teuer. Heute melden die Drucker an den IT-Dienstleister oder Hersteller das Papier nachgefüllt werden muss und dass ein Teil ausgetauscht werden muss, da es voraussichtlich bald defekt sein wird. Gezahlt wird per langfristigem Full-Service-Vertrag. Ein gewaltiger Unterschied im digitalen Geschäftsmodell gegenüber dem simplen Verkauf eines Hardware-Produkts. Das hat natürlich mittels neuer Preismodelle entsprechende Umsatzeffekte und sie ersparen sich teure Neukundenakquise. Darüber hinaus kann Ihnen die Digitalisierung auch den Eintritt in komplett neue Märkte ermöglichen – beispielsweise durch eine direkte Anbindung an internationale Marktplattformen zum Produktvertrieb.

Was sind die größten Risiken, wenn jemand die Digitalisierung „verschläft“?

„Wer nicht digitalisiert, schafft sich ab“ – liest man manchmal.  Ein Satz den ich in der Absolutheit so nicht unterschreiben würde. Manche Branchen und Unternehmenstypen bleiben sicherlich von der Digitalisierung unbeeinflusst. Aber die Mehrzahl muss umdenken. Ein „Das geht schon vorbei!“ wird es nach meiner Einschätzung in diesem Thema nicht geben. Fragen Sie mal dazu einen ehemaligen Besitzer einer Videothek.

Geht man die Themen nicht mit, droht Ungemach von zwei Seiten. Durch weniger Effizienz in den Abläufen, sinkender Attraktivität für Partner in der Wertschöpfungskette, weniger effizientem Vertrieb gehen sukzessive Marktanteile verloren und der Profit sinkt. Eine andere Gefahr droht durch komplett neue Mitspieler im Markt, die über Plattform-Geschäftsmodelle oder überlegene Kundendaten einen Markt für Mittelständler revolutionieren. Die sogenannte disruptive Digitalisierung. Beispiele dafür gibt es mit Uber, Netflix, Amazon bereits wie Sand am Meer. „Betrifft mich nicht“ sagt jetzt der mittelständische Unternehmer, der Service für Aufzüge in großen Wohnanlagen anbietet. Vielleicht täuscht er sich und er sollte Newcomer-Plattformen wie aufzugcheck24 im Auge behalten.

Haben Sie einen abschließenden Rat für Unternehmen, die sich dem Thema Digitalisierung jetzt stellen müssen?

Einfach anfangen!

Starten Sie mit einer ersten Analyse und einem Workshop, um das erste Projekt zu finden, mit dem Sie erfolgreichen starten können. Keine Angst vor Fehlern – die gehören dazu.

Holen Sie Ihre Mannschaft mit –  erschließen Sie das kreative Potential Ihrer Leute – beziehen Sie Ihre Kunden mit ein. Dann werden Sie schon in zwei Jahren auf ein gutes Stück Weg zurückblicken können.

Auszug aus dem IHK WirtschaftsForum September 2018 – Download

…ist Vorstand und Gründer der O’Donovan Consulting AG in Bad Homburg & Berlin. Als Projektleiter war er für den Umbau der Customer-Care-Organisation der Deutschen Bahn verantwortlich – und den damit verbundenen Wechsel in der Servicekultur des Unternehmens. Als Berater leitete er die Transformation im Rahmen eines internationalen Großprojekts bei Thomas Cook und sanierte vor allem Serviceorganisationen in mittelständischen Unternehmen und Konzernen. Dabei erreichte er nicht selten Kostenreduktionen im zweistelligen Millionenbereich ohne Leistungseinschränkungen. Heute ist er gefragter Experte für komplexe, digitale Change-Projekte zur Steigerung der Servicequalität und Vertriebseffizienz.
Er ist u.a. Co-Autor des Buchs „Innovationen im Service“ (Gabler).