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Das erste Mobiltelefon war das Motorola DynaTAC 8000X – erfunden 1973 von Dr. Martin Lawrence Cooper, circa 1 kg schwer und ausgestattet mit einer Akkuaufzeit von 20 Minuten. Neben Telefonieren konnte man 30 Nummern einspeichern. Die Ära der Smartphone begann 20 Jahre später: Der IBM Simon. Das Smartphone besaß einen Touchscreen und konnte E-Mails empfangen und versenden. Heute begleiten uns die Smartphones auf Schritt und Tritt, sind Wegweiser in fremden Gebieten, Tor zur (digitalen) Welt, Sprachrohr in die Ferne, das QVC des Fernsehens, Unterhaltungszentrale und für viele eine Art Tamagotchi, mit dem man ständig interagiert – unsere Smartphones sind „Always on“. Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich mit den Fragen, wie viel mobile im Kundenservice denkbar ist, wie Mobilfunkanbieter auf Kundenwünsche reagieren und mit der Frage, wie viel technologischer Fortschritt durch Kundenzentrierung denn noch denkbar ist oder ob ein anderer Faktor der Treiber ist.

Das Smartphone – das multimediale Schweizer Taschenmesser?

Heute ist unser Smartphone ein Alleskönner. Und „Smart“ ist im Zweifel, was die Bedürfnisse des Nutzers am besten erfüllt. Mit Mobiltelefonen, den Smartphone-Vorgängern, verschwanden auch die physischen Adressbücher wie „Gelbe Seiten“ oder „Das Örtliche“ aus unseren Haushalten. Apropos Papier: Die Auflagen von Tageszeitungen nehmen seit Jahren konstant ab – dafür steigen die E-Paper-Auflagen. Außerdem sind unsere Smartphones Wecker, Taschenlampe und vor allem Digitalkamera, Navigationsgerät oder MP3-Player. Vielleicht ist hier auch der PC zu ergänzen. Klar, lange Texte schreibe ich immer noch am Laptop. Aber auch ich erwische mich immer wieder, wie ich am Laptop sitze und dennoch zum Smartphone greife, um in einer App zu shoppen oder Bilder zu bearbeiten.

80 % der Deutschen empfinden Mobile Banking als „einfach“ und „angenehm“

Mit umfangreicheren Funktionen unserer Smartphones steigt auch die Nachfrage nach Datenvolumen: Von 2012 bis 2019 hat sich das Datenvolumen in Deutschland von 156 Millionen Gigabyte auf 2.765 Millionen Gigabyte mehr als verzehnfacht. Das liegt nur nicht am Surfen allein, sondern auch an WhatsApp-Video und FaceTime: Seit 2014 nehmen diese Videogespräche stark zu. 2019 wurden in Deutschland 265 Mio. Minuten pro Tag über Video telefoniert. Zum Vergleich: Die Gesprächsminuten im Mobilfunk betrugen täglich 354 Mio. Minuten. Aktuell glüht unser multimediales Smartphone übrigens noch mehr: In den letzten Wochen meldeten die Telefonanbieter Vodafone und Telefónica aufgrund von Kontakt- oder sogar Ausgangssperren durch COVID-19 einen Anstieg der Gesprächsminuten von 27 % bis 38 % im Mobilfunk. „Customer centricity is key“ nehmen sich auch die Mobilfunkanbietern zu Herzen: Angesichts der Nachfrage wurden die Verträge und Prepaid-Optionen verbessert. Einige stockten ihr Datenvolumen um 10 GB auf – andere entschärften die Drosselung nach Ablauf des vertraglichen Datenvolumens.

Megatrend Individualisierung

79 % der Bevölkerung in Deutschland nutzt WhatsApp. Eine Studie vom Marktforschungsinstitut INNOFACT ergab, dass sich die Nutzer von WhatsApp und dem Facebook Messenger noch mehr Einsatzmöglichkeiten als nur Chatten und Videotelefonate wünschen, z.B. Kundenservice-Funktionen. Das bietet enormes Potential für Unternehmen. Grundsätzlich ist WhatsApp aber ein geeigneter Kanal wegen der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, aber natürlich muss die DSGVO beachtet werden: Der Kunde muss vorher umfassend über die Datennutzung aufgeklärt sein und seine Legitimation liegt vor. Generell gibt es keine Einschränkungen, welche Daten Unternehmen und Kunden über den Messenger austauschen.

Durch den Einsatz von persönlichen Kanälen wie WhatsApp vereinen Unternehmen im Kundenservice das Beste aus zwei Welten: Die individuelle Ansprache, die ein immer größerer Trend wird, und eine höhere Öffnungsrate der Nachrichten als E-Mail-Newsletter. Während letztere gerade einmal von jedem fünften geöffnet werden, liegt die Öffnungsrate bei WhatsApp bei 90 Prozent. Und das nach durchschnittlich drei Minuten – bei E-Mails sind es sechs bis sieben Stunden.

Ob es um individuelle Ansprache oder zugeschnittene Produkte geht: Kunden fordern Individualisierung in allen Lebensbereichen. Sogar im sensibelsten, den Finanzen. 2019 wurde erstmals am häufigsten das Smartphone oder Tablet für Routineinteraktionen mit der Bank genutzt, so eine Studie von Bain & Company. Die Befragten geben an, dass sie durch Mobile Banking einen besseren Überblick über ihre Finanzen haben, sich mehr Zeit für Finanzentscheidungen nehmen und weniger finanzielle Risiken eingehen. Die Erwartungen der Bankkunden sind in puncto Sicherheit und Unterstützung hoch. Und dennoch konnten die Banken das Vertrauen ihrer Kunden gewinnen: In einer aktuellen Studie der ING gaben ungefähr 80 % der Deutschen an, sie empfinden Mobile Banking als „einfach“ und „angenehm“. Die anfängliche Skepsis ist damit gewichen. Damit heißt es „Goodbye Online Banking – hello Mobile Banking!“. Die sogenannten „Mobile First“-Kunden sind dazu auch noch loyaler gegenüber ihrer Hausbank als die Kontoinhaber traditioneller Institute und haben besonders großes Vertrauen in ihre Bank. „Der Kunde ist König“ führt also auch im Banking zu einer höheren Kundenbindung. Wirtschaftlich gesehen hat eine höhere Kundenbindung zufolge, dass loyale Kunden mehr Produkte ihrer Bank besitzen bzw. weitere Finanzprodukte erwerben.

„Goodbye Online Banking – Hello Mobile Banking!“

Eine Entwicklung, die insbesondere für Digitalbanken wie der N26, Monese oder Revolut sprechen. Mein Kollege, Matias Musmacher, hat in seinem Blogbeitrag „Was die Challenger Banken anders machen – Kundenservice und Customer Experience“ bereits ausführlich beschrieben, wieso Challenger Banken einen Vorsprung gegenüber etablierten Institutionen haben. Während die Deutsche Bank am 23.März  200 Filialen vorübergehend schließen musste und in den mobilen Vertrieb gewechselt ist, sieht Valentin Stalf, Gründer des Fintechs N26, einen Schleudersitz in der aktuellen Krise: Stalf sagt, er gehe davon aus, dass diese Krise die Abschaffung des Bargelds näherbringen wird, weil verstärkt online bestellt wird – insbesondere Lieferservices boomen. Als Geschäftsführer einer mobilen Bank muss er wohl auch für Kartenzahlung oder Apple / Google Pay sprechen. Die tatsächliche Realität sieht zumindest im Onlinehandel anders aus: Der Bundesverband für E-Commerce und Versandhandel klagt über sinkende Umsätze. Außerdem spricht gegen Stalfs These, dass Bargeld in Deutschland so beliebt ist wie in kaum einem anderen europäischen Land: Bisher wurden drei von vier Zahlungen im deutschen Einzelhandel nach wie vor mit Bargeld getätigt, obwohl in 90 % aller Geschäfte Kartenzahlung möglich ist. Wer jetzt sagt „Aber aktuell wird durch Covid-19 zum kontaktlosen Bezahlen aufgerufen“.  Stimmt, ABER kontaktlos Zahlen meint nicht nur die NFC-Karten oder Zahlung über das Smartphone, sondern auch dass der Zahlende das Bargeld hinlegt und der Kassierende das Geld wieder aufnimmt. Das kontaktlose Zahlen mit NFC-Karten / Smartphones kommt außerdem ab einem Einkaufsbetrag von 25 € an seine Grenzen, denn ab dieser Höhe ist die Eingabe des Pins über die Tasten auf dem EC-Cash-Terminal notwendig. Auf der Geräteoberfläche haften Viren und Bakterien, mit denen man in Berührung kommt, sobald man den Pin über die Tasten eingibt oder sogar das Gerät in die Hand nimmt. Und noch ein wichtiger Fakt nebenbei: Bargeld ist wertvolles Trinkgeld in der Gastronomie, aktuell ganz besonders für Lieferservices. Auch ich selbst habe so gut wie nie Bargeld dabei. Jedoch zeigte mir das „kontaktlose Trinkgeld“, wie viele Einsatzmöglichkeiten und welche Bedeutung Bargeld hat. Auch wenn sich die Prognosen von Valentin Stalf nicht bestätigen, haben es die (Online)-Banken geschafft, ihren Kunden auch digital im Fokus zu haben: Ihre Apps entsprechen den Kundenwünschen. Damit gilt auch im Banken-Bereich „customer centricity is key“. Nur beim Bezahlen und beim Trinkgeld hat mobile noch sein Ende in der Kundenzentrierung gefunden.

Ist Kundenzentrierung der Schlüssel für die technologischen Weiterentwicklung?

In einer Umfrage von Statista gaben die Befragten an, sie nutzen das Smartphone zum Telefonieren (100 %), gefolgt von Foto-/Videokamera (90 %), als Suchmaschine auf Platz drei (79 %) und zum Musik hören (69%). Die Umfrageergebnisse lassen darauf schließen, dass die Hauptnutzungsgründe nicht dazu verleiten, ständig ein neues Smartphone zu kaufen. Tatsächlich hat sich die Nutzungsdauer auf durchschnittlich 2,7 Jahre erhöht. Das mag auf der einen Seite daran liegen, dass der technologische Standard sehr hoch ist, aber vor allem daran, dass die Neuerungen bei Smartphones in den letzten Jahren nur eine minimal bessere Kamera, eine etwas bessere Display-Auflösung und einen gering schnelleren Prozessor betrafen. Deutlicher wird es, wenn wir uns zurückerinnern, wie groß der Hype um den Fortschritt vom iPhone 5 zum iPhone 6 war. Beim Release des iPhones Pro war der Aufschrei deutlicher leiser. Selbst das Design unterschiedlicher Hersteller wurde immer ähnlicher – ein erster Sättigungseffekt ist zu verzeichnen. Um den entgegenzuwirken, bringen die Hersteller jetzt vermehrt Foldables, also faltbare Smartphones, auf den Markt. Zumindest war der Release-Versuch da, bis Samsung wieder einen Rückzieher machte. Diesen Fehler wollte sich Samsungs CEO, DJ Koh, nicht eingestehen und betone, dass er sowieso davonausgehe, dass die KI, IoT und die kommende 5G-Technologie das Ende der Smartphone-Ära einläuten werden.

Das Ende der Hardware-Entwicklung von Smartphones ist denkbar, denn KI ist nicht nur ein wichtiger Bestandteil vieler Hard- und Software-Innovationen, sondern auch bei Smartphones nicht mehr wegzudenken, zum Beispiel bei Siri. Auch IoT ist nicht mehr neu. Knackpunkt ist die 5G-Technologie, die Schlüsselkomponente, um KI und IoT zu vereinen. Wenn 5G kommt, wird sie unsere Welt nachhaltig verändern: Dann werden Smartphones nicht mehr notwendig sein, weil jedes Gerät mit jedem Gerät kommunizieren kann und jedes Gerät ein eigenes Display hat. Das, was vorher das Smartphone erledigt hat, nämlich das One-Face-to-the-device, wird nicht mehr notwendig sein. In Zukunft werden wir nicht mehr nur smarte Kopfhörer und Uhren, sondern noch viel mehr Wearables tragen und somit eine „Seamless Experience“ erleben. Eine Erfahrung, die uns dann wohl möglich nicht einmal ungewöhnlich vorkommt. Oder ist es für Sie noch ungewohnt, ständig das Smartphone dabei zu haben?

Falls Ihnen die Aussichten der rundum-Verdrahtung Sorgen machen: Keine Sorge, das wird noch dauern. Smartphones werden weiterentwickelt, weil wir immer mehr mit unserem multimedialen Schweizer Taschenmesser machen wollen. Aber der Schlüssel für das Ende der Smartphones und Beginn der Ära von Wearables und Co ist die Technologie 5G. Und selbst wenn die Technologie eingesetzt ist, wird es selbst dann noch einige Zeit brauchen, bis KI, IoT und 5G ineinandergreifen. Eine Prognose, dass wir in fünf Jahren keine Smartphones mehr haben wäre ungefähr derselbe Vergleich als hätte man mit der ersten Tesla-Serie 2008 die Elektro-Ära eingeläutet.

Fazit

Unser Smartphone kann alles, was wir uns wünschen. Schließlich wurde es in den letzten Jahren entsprechend unserer Vorstellungen weiterentwickelt. In Zeiten der Digitalisierung ist die Stimme des Kunden lauter und vor allem wichtig: Kunden erwarten Einfachheit, guten Service auf allen Kanälen und kurze Reaktionszeiten. Dazu können sich Unternehmen auch Kanäle wie WhatsApp zunutze machen, denn dort sind wir „always on“. Um wirklich „always on“ zu sein, passen Mobilfunkanbieter ihre Verträge an unseren Bedarf an und stocken die monatlichen nutzbaren Gigabyte auf. Durch diesen stetigen Datenaustausch haben wir einen „digitalen Zwilling“ geschaffen. Er ermöglicht, dass uns Unternehmen nahezu überall persönlich ansprechen und sie sich am Schlüssel „Kundenzentrierung“ bedienen können. Sogar in sensibleren Lebensbereichen ist dieser Schlüssel erfolgsversprechend – im Mobile Banking. Jedoch beweist unser Kundenverhalten, dass mobile an seine Grenzen kommt und nicht vollkommen akzeptiert wird: Auch wenn wir unser Banking seit kurzem über das Smartphone erledigen, so hängen wir Deutschen an unserem Bargeld, mit dem wir vorrangig den Einkauf bezahlen und dem Lieferanten Trinkgeld geben. Sollten wir nur noch kontaktlos mit Wearables zahlen und dann weder Bargeld noch Smartphones brauchen, wird das sicherlich noch mehr als fünf Jahre dauern. Der Grund sind aber nicht wir und unsere Wünsche, sondern die Netzausstattung. Bis sie einwandfrei funktioniert, werden wir unser Smartphone noch verstärkter nutzen, einzig das Aussehen wird sich ändern: Der Trend geht schon von Kabel- zu Bluetooth-Kopfhörern, auch Knöpfe finden wir jetzt kaum noch. Dafür werden unsere Smartphones größer, zumindest wenn sie ausgeklappt sind. Denn größere Geräte werden wir brauchen, wenn auch das Smartphone die weiteren Funktionen des Laptops übernimmt. Also: Ja, Mobile hat sein Max gefunden – teilweise in der Kundenzentrierung und überwiegend in der technologischen Weiterentwicklung. Was dann in über fünf Jahren passiert, das darf uns auch gern überraschen. Eine Ahnung haben wir. ????

...ist Vorstand bei der O’Donovan Consulting AG. Seit mehr als 18 Jahren steht die Lösung von Herausforderungen aus Vertrieb und Service in Verbindung mit innovativen technologischen Lösungen im Fokus seiner Tätigkeit. Aktuell unterstützt er seine Auftraggeber dabei, Strategien für eine kundenorientierte Unternehmensführung zu entwickeln und im Unternehmen umsetzen. „Unternehmen können am Markt gewinnen, wenn Sie es schaffen, Services in Abhängigkeit der jeweiligen Situation zu individualisieren, dass Kunden bleiben – am besten aus Bequemlichkeit, gerne auch aus Begeisterung.''