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Customer Experience als Überschrift für die Ausrichtung des gesamten Unternehmens auf den Kunden wird seit geraumer Zeit genutzt. Wer wissen will, wie genau, der findet Antworten: Sowohl globale Studien als auch spezielle Auswertungen für den deutschsprachigen Raum. Die Relevanz des Themas im DACH-Raum verlagert sich – weg vom reinen Hype-Thema, hin zum Beitrag zum Unternehmenserfolg. Wenn es denn komplett und richtig läuft.

 

„Komplett und richtig läuft? Das klingt ja gut, wenn es so geschrieben steht, aber was braucht es dazu denn alles?“ Das sind Fragen, die wir im Rahmen der Bedarfsanalysen von unseren Kunden hören. Viele haben dann die aktuellen Schlagwörter gehört, diese vielleicht auch für das eigene Unternehmen interpretiert und starten mit einzelnen Fachinitiativen. Was aber für viele mit einem Fragezeichen versehen bleibt, ist das Gebiet der CX Governance. Schon wieder ein Schlagwort, dass von vielen eigenständig interpretiert wird, so dass sich zwei Kolleg*innen prima darüber austauschen und diskutieren können, aber am Ende trotz vermeintlicher Einigung in verschiedene Richtungen loslaufen. Einfach weil Sie zwar über das gleiche Wort, aber nicht über denselben Begriff gesprochen haben.

Die Autoren des CEX Trendradars haben dieses Dilemma in Ihrer Auswertung für 2021 beschrieben: „Strategie, Governance und Omnichannel sind notwendiger denn je“. Deshalb ist es an der Zeit, uns mit dem Elefanten im Raum – der CX Governance – zu beschäftigen. Und den Schleier des Halbwissens ein Stück zu lüften.

CX Governance im Vorgehensmodell von kundenzentrierten Unternehmen

Governance betrachten wir im Bereich der Unternehmensführung als Rahmen der Steuerung von Abläufen und dem Aufbau von Organisationen. Damit ähnelt dies der Definition aus der Politikwissenschaft, wo der Begriff nach Einschätzung der meisten Experten seinen Ursprung hat.

Mit dieser Definition ausgerüstet schauen wir uns das Vorgehensmodell von kundenzentrierten Unternehmen an. Doch vorher machen wir den Schritt zurück und sehen ein Vorgehensmodell, dass sich in drei Teile unterteilt:

(A) Maßnahmen zur Zielerreichung im Framework (Arbeiten am System)

Beispiel: Anpassung der Beschreibung der CX Rollen auf den vorgesehenen Reifegrad

(B) Initiativen zur operativen Verbesserung von Customer Experience (Arbeiten im System)

Beispiel: Optimierung des Touchpoints „Telefonische Meldung technischer Herausforderungen“

(C) CX Transformationsmanagement (Verschieben des Systems)

Beispiel: Durchführung von Townhall Meetings zur Diskussion der Kundenzentrierung

Alle drei Teile beinhalten Steuerungs- und Regelsysteme. Diese Inhalte sind recht unterschiedlich, deshalb betrachten wir diese in den nächsten Abschnitten genauer. So entsteht die Transparenz, die es für ein gemeinsames, eindeutiges Verständnis über CX Governance in den Unternehmen bei den Verantwortlichen und Mitwirkenden aus unserer Sicht braucht.

CX Governance als Teil des CX Frameworks

In A), dem CX Framework, werden die Zielniveaus für die einzelnen Bestandteile einer Customer Experience Strategie festgelegt. Unternehmen entscheiden, bei welchen Bausteinen sie „best in class“ werden wollen, um Mitbewerber zu überholen und Customer Experience als Wettbewerbsvorteil sehen. Sie entscheiden welche Bausteine nicht zur Differenzierung im Wettbewerb beitragen und deshalb „nur“ hinreichend gut gestaltet werden sollen.

CX Governance ist hierbei ein fester Bestandteil. CX Governance Bausteine sind deshalb in einem der vier Teile des Frameworks gebündelt. Entsprechend der oben gewählten Definition von CX Governance legt das Unternehmen hier Abläufe und Strukturen fest, in denen Customer Experience Management mittel- und langfristig die Ausrichtung auf den Kunden bewirken soll.

Bausteine sind hier beispielsweise Rollen und Funktionen im Unternehmen, diese können je nach Unternehmen sehr unterschiedlich ausfallen: in agil orientierten Unternehmen gibt es Tribes, Gilden und ähnliches. In eher funktional orientierten Unternehmen sind dies Abteilungen und Stellenbeschreibungen. Oder eben auch ein Amalgam aus diesen.
Auch die Anzahl der Ressourcen (häufig in FTE), die dediziert an dem Thema arbeiten sollen, werden hier festgelegt.
Um der Begriffsvielfalt entgegenzutreten legen Unternehmen ein CX Glossar an. Ein Vorhaben, dass in sich selbst eine Menge an Stolpersteinen birgt, aber auch eine Grundvoraussetzung für Erfolg ist. Das CX Glossar sorgt dafür bei CX relevanten Begrifflichkeiten mehr Verständnis für die betroffenen Ressourcen, um Fehlinterpretation zu vermeiden. „Wir sprechen von den gleichen Dingen.“ wäre hierzu die passende Aussage.

Das Schaubild zeigt es noch einmal deutlich: CX Governance ist integraler Teil des Herzens des Vorgehensmodells.

Warum gibt es ohne diese Bausteine keinen Erfolg?
Scheiternde Projekte zeigen, dass häufig Customer Experience als ein reines Projekt zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit gesehen wird. Und diese Projekte dann scheitern, wenn Projektmitarbeitende das Unternehmen verändern wollen, dies aber seitens der Entscheider nicht gewünscht ist. Denn die Motivation der Umsetzungsbegeisterten sinkt, Maßnahmen werden nicht konsequent „top down“ unterstützt und umgesetzt. Das „Wie“ des Einwirkens, neue Steuerungsmechanismen wird nicht definiert.
Es wird mit geringen Ressourcen (< 1 FTE) versucht, auf alle Unternehmensbereiche einzuwirken. Auch wenn die Frage, wie viele Ressourcen braucht es denn, am Anfang nicht endgültig geklärt werden kann. Mit zu wenig Ressourcen kann das Unternehmen keine Expedition in dieses neue Terrain starten – in der Regel werden diese Ressourcen auch (zu) schnell in andere Prio-Projekte entsandt.
Häufig fehlt auch die klare organisatorische Aufhängung und Customer Experience Management wird als Thema von vielen Bereichen bearbeitet, aber ohne Koordinationsmechanismen oder klar unternehmerische Regeln. Es kommt zu Diskussionen unter Führungskräften, wer welche Verantwortung für Customer Experience Management trägt. Die Umsetzung der Bausteine des CX Frameworks gerät ins Stocken und scheitert .

Eine Definition von Rollen ist schon zum Start der Reise notwendig. Eine generelle Verortung im Organigramm ist ebenso sinnvoll – wenn Organigramme zur Unternehmenskultur passen.

CX Governance im Management von Maßnahmen und Initiativen

Sowohl in A), den Maßnahmen zur Zielerreichung im Framework, von Customer Experience braucht es eine weitere Art von Governance: Steuerung und Regelung für Programme und Projekte sind hier notwendig.

Unternehmen starten in diese beiden Programme sehr unterschiedlich – abhängig von der existierenden, internen Kultur des Projektmanagements.
Manche Unternehmen verfolgen das „klassische Wasserfall-Modell“ zur Erreichung der Ziele, andere verlassen sich zur Zielerreichung auf agile Methoden. Einige kombinieren beides – z.B. wird die Governance zur Zielerreichung im CX Framework nach Wasserfall geführt, bei den Projekten zur operativen Verbesserung werden agile Methoden eingesetzt. Erfolgreiche Unternehmen nutzen dabei Scrum bzw. Scrum of Scrums (Skalierung von Scrum) für die Governance zum Managen der Programme der operativen Verbesserung.
Selten finden sich Unternehmen, die OKRs (Objektivces & Key Results) zur Governance in CX-Programmen einsetzen.

Unternehmen, die scheitern, scheitern seltener an der eingesetzten Methode. Der Kardinalfehler der Unternehmen ist es, überhaupt keine Governance zu etablieren. Oder aber diese nur für eines der beiden Programme (A oder B) aufzusetzen und das andere unbetreut zu lassen. In der Hoffnung, dass aufgrund der klaren Definition der Bausteine im CX Framework die Projekte schon auf die Zielerreichung einzahlen werden.

Für die erfolgreiche Transformation eines Unternehmens zum kundenzentrierten Unternehmen ist es deshalb wichtig zu erkennen, dass es Governance sowohl für Maßnahmen zur Zielerreichung im Framework als auch für Initiativen zur operativen Verbesserung der Customer Experience geben muss. Beide müssen gleich am Anfang nach dem unternehmerischen Entschluss etabliert werden. Sonst riskiert das Unternehmen unnötige, schmerzhafte Erfahrungen im Laufe der Etablierung.

Governance im Rahmen des CX Transformationsmanagement

Der dritte Bereich, in dem sich Unternehmen mit Governance beschäftigen müssen, ist das CX Transformationsmanagement. Denn häufig ist es vom Status Quo des Unternehmens zur Kundenzentrierung eine große Wegstrecke.

Wichtiger Baustein für das CX Transformationsmanagement ist eine klare und akzeptierte Beschreibung des Auslösers, also des Grunds für die angestrebte Transformation zur Kundenzentrierung.
Die CX-Kultur ist bereits in das Framework integriert, kulturelle Veränderung muss aber während der Transformation besonders beleuchtet werden. Dies zu tun ist Aufgabe der Governance im CX Transformationsmanagement.
Der richtige Führungsstil und zugrundeliegend der Aspekt der Macht ist ein zentraler Faktor für den Erfolg der Veränderung. Hier liegt ein Stolperstein, eine Veränderung muss so gesteuert werden, dass keine inneren Kündigungen geschehen – weder bei Mitarbeitenden noch bei Führungskräften.
Der Baustein hängt eng zusammen mit dem nächsten Baustein: dem Partizipationsgrad. Hier meinen wir nicht, inwieweit Mitarbeitende im Tagesgeschäft größere (oder kleinere) Verantwortung erhalten. Es wird durch Governance festgelegt und gesteuert, wie Mitarbeitende während der CX Transformation in die Entscheidungen rund um die Veränderungen eingebunden werden.

Unternehmen verlieren Zeit in der Transformation, wenn Sie eine schlechte oder gar keine Governance in das CX Transformationsmanagement integrieren.
Eine große Auftaktveranstaltung mit regelmäßigem „walk the talk“ funktioniert ebenso wenig wie das ausschließliche Kommunizieren von Organigrammen und Stellenbeschreibungen. Allerdings ist der Partizipationsgrad dann bereits definiert. Auch ein Beschluss: “Wir machen das agil“ ohne Governance endet erfahrungsgemäß im „Laissez-Faire-Nirwana“. Ebenfalls schädlich ist es, die Ziele des Unternehmens und der Mitarbeitenden nicht konsistent auf Kundenzentrierung zu justieren. Mitarbeitenden über ein Zielbild auf Kundenzentrierung einzuschwören, aber gleichzeitig die Quartalsziele auf Umsatz unangepasst zu lassen – das ist ein Fehler!

Es braucht klare Messkriterien im CX Transformationsmanagement, nach denen gesteuert wird. Und eine Sicht von außen – diesmal nicht vom Kunden, sondern von Stakeholdern oder Experten, die außerhalb des Unternehmens stehen. Reine Introspektive ist für die Governance an dieser Stelle nicht geeignet.

Auch wenn es sich komplex liest: Unternehmen, die alle 3 Themenbereiche der CX Governance berücksichtigen, laufen nicht in die Komplexitätsfalle. Im Gegenteil, diese Unternehmen werden – so lehrt uns die Erfahrung – erfolgreich sein in der Umsetzung. Schon das Bewusstsein für die unterschiedlichen Ausprägungen von CX Governance zu schaffen ist ein Schritt raus aus der Komplexitätsfalle. Denn auch wenn – oder eben gerade weil – CX Governance im CEX-Trendradar noch überwiegend im Bereich „Prototyp“ verortet ist, ist es extrem wichtig für den Erfolg der Ausrichtung auf Kundenzentrierung, dies mit durchdachten Steuerungs- und Regelungsmechanismen auszustatten.

...ist Vorstand bei der O’Donovan Consulting AG. Seit mehr als 18 Jahren steht die Lösung von Herausforderungen aus Vertrieb und Service in Verbindung mit innovativen technologischen Lösungen im Fokus seiner Tätigkeit. Aktuell unterstützt er seine Auftraggeber dabei, Strategien für eine kundenorientierte Unternehmensführung zu entwickeln und im Unternehmen umsetzen. „Unternehmen können am Markt gewinnen, wenn Sie es schaffen, Services in Abhängigkeit der jeweiligen Situation zu individualisieren, dass Kunden bleiben – am besten aus Bequemlichkeit, gerne auch aus Begeisterung.''